Wie steigt man am besten ein in die konflikthafte Thematik “Kommunikationsfreiheit”? Meinen BA- und MA-Studierenden habe ich in diesem Semester drei Kurzeinführungen in unser Seminarthema empfohlen, die für einen Überblick besonders geeignet sind. Warum das so ist und welche Einführungen ich ausgewählt habe, könnt Ihr hier nachlesen.
Die aktuellste und vom Titel her auch die am wenigsten bescheidene Einführung - akademisches Understatement war hier eindeutig nicht angesagt - stammt von Alan Haworth, der sich als Philosoph auf Politische Philosophie und Ideengeschichte insbesondere zum Thema Kommunikationsfreiheit spezialisiert hat. Er arbeitet seit über 20 Jahren zu diesem Thema. Man muss ihm nicht in allen Punkten zustimmen, aber anerkennen, dass er weiß, wovon er schreibt. In “Free Speech - All that matters”, erschienen 2015 bei Blackwell, gelingt Haworth ein leichtfüßiger Einstieg in eine komplexe Problematik. Er gibt erste (meistens) klare Antworten auf die erkenntnisleitenden Fragen:
What is free speech?
Why does free speech matter?
Man bekommt anhand von bekannten Beispielen - u.a. die sogenannte “Rushdie-Affäre” um den gleichnamigen britischen Schriftsteller, der dänische “Karikaturenstreit” und der Massenmord an der französischen “Charlie Hebdo”-Redaktion - einen Einblick in zentrale, wiederkehrende Muster der Auseinandersetzung um die Kernfrage, was unter welchen Umständen wie frei geäußert werden darf und was nicht, wer das - bestimmt durch temporäre Machtverhältnisse - eigentlich mit welchen Mitteln wie durchsetzt und was das jeweils für die Demokratie bedeutet. Beim Lesen merkt man dabei schnell, inwieweit rechtliche und ethische Aspekte zwei verschiedene paar Schuhe sind, mit denen man sich unterschiedlich auf dem selben Terrain fortbewegen kann. Haworth nimmt seine Leserschaft mit auf einen kurzen Ausflug in die politische Ideengeschichte (im Wesentlichen zu Mill und Milton, später auch zu Hume und Habermas) und verbindet in der Diskussion verschiedener Problemfälle (Holocaustleugnung usw.) gekonnt Theorie und Praxis. Für eine Lese-Generation, deren Textwahrnehmung auch geprägt ist durch Publikationen mit Titeln wie “Diese 20 Dinge kommen Dir bekannt vor, wenn Du ein 90er-Kind bist”, endet der kleine Band mit einem “100 ideas” Kapitel, das Anregungen für tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema gibt. Aufgelistet werden relevante Verfassungsdokumente, historische Quellen, Gerichtsurteile, berühmte Zitate, Orte, Kunstwerke, usw., die als Diskussionsgrundlage allesamt dienlich sind.
Man könnte an dieser Stelle meinen, das reicht doch, so als Einführung. Dann würde einem aber die Perspektive von Nigel Warburton entgehen, der in “Free Speech - A very short introduction”, erschienen 2009 bei der Oxford University Press, auch einen Überblick über die liberal-demokratische Debatte gibt, dabei aber stärker die Frage nach einem Menschenrecht auf Kommunikationsfreiheit diskutiert und Tabuthemen wie Pornografie in seine Betrachtung einbezieht. Auch die Rolle, die die technische Infrastruktur für den Kommunikationsprozess spielt, wird hier deutlicher berücksichtigt - genauso wie das Thema Urheberrecht, das Kommunikationsfreiheitsdebatten immer wieder mitprägt. Außerdem merkt man bei Warburton, dass er sich in seiner publizistischen Tätigkeit als Philosoph darauf spezialisiert hat, komplexe Gedankengänge leicht nachvollziehbar wiederzugeben. Wie schon die “Little History of Philosophy” profitiert auch dieser Band von einem klaren und dabei zugleich lockeren Schreibstil, der auch Nichtakademikern zentrale Erkenntnisse vermitteln kann.
Seitenwechsel. Der dritte Band auf der Seminarliste stammt aus der Filmwissenschaft und konzentriert sich auf einen ganz zentralen Antagonisten der Kommunikationsfreiheit: die Zensur. In “Censorship - A Beginner’s Guide”, erschienen 2009 bei Oneworld Publications, stellt der Filmwissenschaftler Julian Petley unterschiedliche Ebenen der Einschränkung freier Kommunikation vor. Sein breiter Zensurbegriff, der sicherlich diskussionswürdig ist, umfasst dabei nicht nur klassisch staatliche (Vor-)Zensur, sondern auch religiöse und wirtschaftliche Zensurformen. Die Palette reicht von der leider nicht nur mittelalterlichen “Killing-the-Messenger”-Praktik über Bücherverbrennungen bishin zu Indizierungen, Blocking- und Filtertechnologien sowie zu Marktmonopolen, die die Ideenvielfalt reduzieren, oder zu strengen Production Codes in der Filmbranche, die künstlerische Freiheit schon im Schaffensprozess stark einschränken.
Mit dieser Perspektive ergänzt der dritte Band die beiden vorab genannten Einführungen und schafft gleichzeitig ein Grundverständnis für die übergeordnete Frage, ob man Kommunikationsfreiheit nur über die Legitimation ihrer Einschränkung oder doch auch aus sich selbst heraus definieren und erklären kann.
Alle drei sind übrigens auch für Menschen empfehlenswert, die nicht noch dringend Credit Points bei Dr. Sell erwerben müssen.