Tagungsbericht #nqm2017: Diskursanalyse in der Kommunikationswissenschaft und Medienforschung

Viel Austausch, interdisziplinäre Perspektiven, keine Paralleltracks und eine mittelgroße Runde von ca. 50 Teilnehmer*innen, die sich für am gemeinsamen Gegenstand orientiertes, inhaltliches Diskutieren wunderbar eignet. Fünf von fünf goldenen Hornbrillen gibt’s also direkt schon mal für das Tagungsformat und die sehr gute Organisation durch Christine Lohmeier und Thomas Wiedemann.

Das Netzwerk Qualitative Methoden hat sich vom 27.-29.4.2017 zu seiner ersten Tagung an der LMU in München getroffen. Theorien, methodisches Vorgehen und Befunde aktueller diskursanalytischer Forschung standen im Vordergrund. Den Rahmen des Programms bildeten die beiden aus der Logik der deutschsprachigen Diskursforschung heraus einzig möglichen Keynotes: Reiner Keller (Wissenssoziologische Diskursanalyse) und Margarete Jäger (Kritische Diskursanalyse), ersterer mit eher implizit oder indirekt normativer Ausrichtung, die zweite in der Tradition des DISS (Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung) mit explizit kritisch-politischem Erkenntnisinteresse. Beide haben ihre analytische Herangehensweise an gesellschaftliche Diskurse überblicksartig dargestellt und aus ihrem langjährigen Erfahrungsschatz Herausforderungen an die Diskursforschung im Plenum zur Diskussion gestellt.

Randnotiz Forschungsethik: Foucault hat übrigens bei Simmel geklaut, ohne das transparent zu machen. Schade.

Die Panel mit drei bis vier Vorträgen und anschließender Diskussion waren in sich stimmig. Panel 1 zu erkenntnistheoretischen und methodologischen Grundlagen hat sich insbesondere mit der Adaption der Diskursanalyse in der Kommunikationswissenschaft auseinandergesetzt. In Panel 2 ging es um die Analyse von Onlinediskursen in der KW, basierend auf Tweets oder Beiträgen in onlinejournalistischen Medien – aber auch in der Ernährungswissenschaft. Wenn Ihr wissen wollt, wie Fleischkonsum diskursiv als “männlich” konstruiert wird, oder wie fleischlose Ernährung als Subjektivierungsdiskurs funktioniert, solltet ihr in ein paar Jahren nach der Diss von Verena Fingerling Ausschau halten, die hier ihr Konzept und allererste Befunde vorgestellt hat.

Panel 3 hat sich auf Migrations- und Geschlechterperspektiven in der multimodalen Diskursanalyse konzentriert. Neben dem Duisburger Ansatz kam hier mit dem Vortrag von Jeannine Wintzer die sozialräumliche Diskursperspektive aus der Geographie ins Spiel und Lisa Spanka hat mit ihrer Museums-Diskursanalyse die enge Verbindung von nationaler Identitätsbildung und Geschlechterdiskurs herausgestellt. Auch diese Diss wird sicher sehr lesenswert – in Vorbereitung auf den nächsten Museumsspaziergang, vorbei an den Ölschinken deutscher Unternehmer, die die dominante Repräsentation deutscher Nachkriegsgeschichte im 20. Jahrhundert darstellen. Die Nachkriegszeit ist hegemonial-männlich ausgestelltes Wirtschaftswunder, eingerahmt in anonyme Röcke neben alten Kühlschränken. Panel 4 schließt die Tagung mit globalen Perspektiven. Maria Karidi und Michael Meyen haben uns die Welt durch die Brille globaler 24-Stunden Nachrichtensender betrachten lassen. Auch spannend: Julia Lönnendonker hat sich in ihrer Diss mit der diskursiven Konstruktion europäischer Identität auseinandergesetzt – am Beispiel der Beitrittsbemühungen der Türkei als Diskursstrang und, positiv hervorzuheben, mit breiter historischer Kontextualisierung. Die Diskursanalyse zu PEGIDA ist leider ausgefallen. Aber die Auseinandersetzung mit der Globalisierungsdebatte in Medien der nationalistischen Rechten und in großen bundesdeutschen MainstreamLeitmedien von Holger Oppenhäuser aus der Politikwissenschaft hat uns zum Abschluss der Tagung die Zirkulation der beiden Interdiskursen gemeinsamen Kollektivsymbolik durch den medio-politischen Diskurs erschreckend anschaulich verdeutlicht. Im Vortrag hervorgehoben wurde die Mischung aus Nationalismus, Elitenfeindlichkeit und Antisemitismus, gezeigt anhand der Ablehnung des global erfolgreich agierenden Großkapitals, bei beiden personifiziert durch George Soros (in rechten Medien immer explizit jüdisch markiert). Demgegenüber steht das kontinuierliche Abfeiern des mittelständischen (männlichen) deutschen Unternehmers, der aus seiner Region heraus natürlich auch weltweit erfolgreich ist, als national(istisch)em Identitätsstifter. Spankas Ergebnisse hallten hier laut nach.

Fazit: Für mich war diese Tagung gleichermaßen für die Forschung wie für die Lehre zu gesellschaftspolitischen Diskursen im Journalismus sehr ertragreich.